Auf gleicher Augenhoehe

Vom wilden Tier ging fuer den Menschen seit Urzeiten eine zwiespaeltige Faszination aus. Das Tier bedeutete in fruehen Zeiten Nahrung, Kleidung und damit Sicherheit fuers Ueberleben. Zugleich war es Bedrohung, konnte verletzen und brachte den Tod. Schon frueh in der kulturellen Entwicklung der Menschheit erlangte das Tier religioese Bedeutung in vielfaeltiger Form. Wie die Haustierwerdung zeigt, hielten Menschen schon sehr frueh auch wilde Tiere. Eine Tradition, die alle Voelker und Kulturen gemeinsam haben.

Als ich im zerbombten Nachkriegsberlin aufwuchs, gab es nicht viele Moeglichkeiten, Tieren zu begegnen. Es gab noch bis in die 1960er Jahre Rinder- und Schweinehaltung an der Wilhelmsaue in Wilmersdorf, allgegenwaertig waren die Stadttauben und einige haeufige Vogelarten wie Spatzen und Amseln. Fuer das Grossstadtkind im Westteil Berlins erschoepften sich die Begegnungen mit dem Tier damit schon fast. Da war es ein Glueck, dass ich keine zwei Kilometer von alten, beinahe zerstoerten Zoo aufwuchs.

Als Kind besuchte ich die Tiere aus aller Herren Laender im Zoo, deren Wohl und Wehe mir mit der Zeit immer vertrauter wurden. Fast zwangslaeufig fuehrte das zum Biologiestudium, jedoch nicht zu einer Beschaeftigung in einem Zoo, obwohl mich mein beruflicher Werdegang auch zeitweise als Hilfstierpfleger und spaeter dann auch als Autor in den Zoo fuehrte. Die Begeisterung fuer das Tier und fuer die Zoos hat mich seitdem begleitet, und auch wenn ich heute im Naturschutz aktiv bin, bleibt die enge Verbindung zu den Zoos bestehen.

Die europaeische Menagerie-Tradition geht, soweit bekannt, auf die hoefische Tierhaltung der Sarazenen zurueck. Heinrich der VI. uebernahm nach der Eroberung Siziliens im 12.Jahrhundert auch die Menagerie der Sarazenen, und auch seine Nachfolger pflegten diese Tradition. Seitdem laesst sich in den europaeischen Laendern die Haltung wilder Tiere in Menagerien, Baerengraeben, Stadtgraeben und an vielen anderen Stellen feststellen. Tierhaltung hatte viele Funktionen. Einmal spielten die Tiere in noch mittelalterlicher Tradition als Symbole fuer Gut und Boese, fuer moralische und religioese Vorstellungen eine wichtige Rolle. Zum anderen spiegelten sie die Ferne wieder, eine Exotik, die fuer die Mehrzahl der Menschen unbegreiflich und kaum vorstellbar war und als deren Repraesentanten viel eher Tiere als fremde Menschen galten. Das gefangene Tier und somit die vom Menschen beherrschte Wildnis, war ein weiteres wichtiges Moment der Ausstellung von Tieren, was vor allem die Haltung von gefaehrlichen Tieren wie Loewen oder Baeren betraf. Zugleich war die Ausstellung jedes Tieres auch ein Stueck Aufklaerung, denn wer einen >boesen Wolf< tatsaechlich sah, dem verging der Glaube an das menschenverschlingende Ungeheuer. So war, neben vielen anderen Elementen, auch die Haltung wilder und vor allem exotischer Tiere ein Beitrag zu einer aufgeklaerten, modernen Welt. Im 19. Jahrhundert, als die ersten modernen Zoos entstanden, kamen weitere Aspekte dazu. Die Entstehung der Naturwissenschaften, die wissenschaftliche Erfassung der Welt und auch der Kolonialismus hinterliessen ihre Spuren in den zoologischen Gaerten. Davon zeugen noch einige der Stilbauten des Berliner Zoos: Das Antilopenhaus, das Bisonhaus und das Zebrahaus, um nur einige Beispiele zu nennen, die den 2. Weltkrieg ueberstanden haben oder danach wieder errichtet wurden. Am Ende des 19. Jahrhunderts wurde deutlich, dass den immer mehr in die Staedte gedraengten Menschen die grossen systematischen Sammlungen von Tieren nicht mehr genuegten. Auch wenn diese dort in eine Anderswelt mit exotischen Bauten, belebt mit Voelkerschauen damals als >wild< empfundener Voelker, verpackt waren. In einer der Natur entfremdeten Welt, in der gesellschaftliche Gegensaetze und die Gefahren immer groesserer Kriege spuerbar waren, sehnten sich die Menschen nach einem Paradies, nach >unverfaelschter< Natur, die sie bequem zur Entspannung besuchen konnten. Diesem Anliegen kam Carl Hagenbeck mit der Eroeffnung des Tierparks in Stellingen bei Hamburg entgegen. Hier schienen 1907 sogar die Loewen in Frieden mit den Zebras und Antilopen, die Eisbaeren mit den Rentieren und Robben zu leben. Der durchschlagende Erfolg dieser neuen Schaustellung veraenderte die Zoolandschaft ueberall auf der Welt. Gitterlose Anlagen, Gruppen oder kleine Herden von Tieren, statt die Haltung eines oder zweier Tiere moeglichst vieler verschiedener Arten, wurden bestimmend fuer die Zoogestaltung. Ausserdem kam man auch der Erwartung des Publikums entgegen, das sein Fernweh zunehmend durch eigene Reisen, hervorragende Bildbaende und Filme befriedigte. Als Anfang der 50er Jahre der Magistrat des damaligen Ostteils Berlins den Beschluss fasste, einen grossen Landschafts-Tierpark zu schaffen, konnte er auf alle diese Erfahrungen zurueckgreifen. Schon lange hatte es in Berlin Plaene gegeben, zusaetzlich zu dem beruehmten Innenstadtzoo einen wesentlich groesseren Landschaftszoo zu schaffen. Im Schlosspark Friedrichsfelde konnte unter der Leitung des erfahrenen Zoologen und Tiergaertner Dr. Dathe dieser neue Zoo entstehen. Der Tierpark Berlin ist gepraegt durch seine weiten Freianlagen, die in ihrem zentralen Teil an die Gestalt des Schlossparks angepasst waren. An diesen historischen Teil mit seiner bestimmenden Achse vom Schloss Friedrichsfelde zum Terrassen-Cafe und den weitraeumigen Anlagen der Kamele und indischen Antilopen, der Bisons und Wisente, schliesst sich ein weites Gelaende an, in dem die Grossbauten des Tierparks, das Alfred-Brehm-Haus, das Dickhaeuter-Haus und das Giraffenhaus entstanden sind. Auf einer noch immer nicht vollstaendig erschlossenen Flaeche von 160 Hektar leben viele Tierarten in kleineren oder groesseren Gruppen. Wandert man im alten Schlosspark durch Waldgebiete, in die Gehege eingestreut sind, so betritt der Besucher im anschliessenden Teil eine eher steppenartige Landschaft, in der die Tiere der Steppe und Wueste ihre Heimat finden. Auf dem in den letzten Jahren erschlossenen Teil des Tierparks finden sich an mehr oder weniger steilen Haengen die Tiere der Gebirge. Als das Publikum den Tierpark vor 50 Jahren zum ersten Mal besuchen konnte, war das Gelaende vielen bereits vertraut. In den Schichten des >Nationalen Aufbauwerks< hatten sie Wege angelegt, Graeben ausgehoben, an den Haeusern mitgebaut oder Leitungen verlegt. Ohne diese Hilfe vieler im Ostteil lebender Berliner waere der Tierpark nicht in so kurzer Zeit und so grossartig entstanden. Er fand auch weiterhin die grosse Unterstuetzung der Bevoelkerung, ein lebendiges Beispiel ist der heute noch aktive >Verein der Foerderer des Tierparks<, der in diesem Jubilaeumsjahr ein Schildkroetenhaus finanziert. In den letzten 15 Jahren hat auch das Berliner Zahlenlotto viel fuer den Ausbau des Tierparks getan. Fast alle grossen Bauvorhaben dieses Zeitraumes sind aus Lottomitteln bezahlt worden. Vielleicht ist es erstaunlich, dass ich so viel ueber Zoologische Gaerten und den Tierpark geschrieben habe, ohne viel ueber die Tiere gesagt zu haben. Tiere muss man erleben, ihnen Auge in Auge gegenueber stehen, ihr Fell, ihre Federn oder Schuppen sehen, sie riechen und hoeren. Im Tierpark wie im Zoo bieten sie dazu reichlich Gelegenheit. Frueher, als die gesetzlichen Grundlagen noch anders waren, als es in den Heimatlaendern Tiere anscheinend in unbegrenzter Fuelle gab, bluehte der Tierhandel. Zoos kauften, was die Haendler heranschaffen konnten. Wenn ein Tier trotz aller Bemuehungen um gute Pflege starb, wurde einfach ein neues Tier vom Haendler bestellt. Heute ist das nicht mehr so. Internationale Gesetze, Veterinaervorschriften und eine veraenderte Einstellung zum Tier machen es im Bereich der Wirbeltiere sehr schwer, noch Tiere aus dem Freiland zu entnehmen. So besteht die ueberwiegende Mehrzahl der Tiere in allen Zoos aus eigener Nachzucht oder der anderer zoologischer Gaerten. Die Zoos der Welt sind mehr oder weniger eine grosse Gemeinschaft geworden, in der Erfahrungen ausgetauscht werden. Viele Tierarten werden laengst ueber Zuchtbuecher international verwaltet, was bedeutet, dass der Zoo einen grossen Teil seiner Verfuegungsgewalt ueber seine Tiere abgibt. Die nationale und internationale Zusammenarbeit laesst in allen Zoos aehnliche Bedingungen in der Tierhaltung entstehen. In Berlin haben wir den Innenstadtzoo, der mit seinen vielen Warmhaeusern sich auf die Haltung tropischer waermebeduerftiger Tiere spezialisiert. Der Tierpark haelt ueberwiegend gegen Kaelte unempfindlichere Arten, darunter allerdings sehr seltene, die kaum in anderen europaeischen Zoos zu sehen sind. Einige Arten sind aus Artenschutz oder aus paedagogischen Gruenden in beiden Zoos vorhanden, bei vielen Arten ergaenzen sich Zoo und Tierpark. Vermutlich gibt es viele Wuensche, die der Direktor des Tierparks, Dr. Blaszkiewitz, zum Jubilaeum hat. Der wichtigste Wunsch aber ist sicher, dass die Berliner und ihre Gaeste dem Tierpark weiter ihre Treue halten und ihn durch regen Besuch unterstuetzen.

Kommentar schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.