Hinterhof-Aggressionen: Eine Studie beleuchtet den Einfluss von Architektur bei den London Riots

Eine just erschienene Studie stellt die Londoner Riots in einen direkten Zusammenhang mit der Architektur bestimmter Wohngegenden. Doch führen zu viele versteckte Hinterhöfe tatsächlich zu Ausschreitungen? Berliner Gazette-Autor und Mapping-Aktivist Patrick Meier hat Zweifel.

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Eine interessante Studie zur Ortungsanalyse der diesjährigen Riots in London ist soeben erschienen. Durchgeführt wurde sie von der Firma Space Syntax und ist hier als PDF verfügbar.

Das Ziel der Studie bestand darin, eine Antwort auf die folgenden Fragen zu finden: Haben die übermäßig komplexen Grundrisse von großen Wohnsiedlungen der Nachkriegszeit einen „Effekt auf soziale Strukturen“? Und führen sie „vermehrt zu sozialer Unruhe und anti-sozialem Verhalten “?

Obwohl der Ansatz der Studie sehr spannend ist, habe ich ein paar Probleme mit einigen grundlegenden sozio-ökonomischen Annahmen der Analyse.

Laut Studie ereigneten sich 84 Prozent der bestätigten Unruhen im Norden Londons und 96 Prozenz im Süden der Stadt – jeweils im Umkreis von 400 Metern, also einem fünf-Minuten-Spaziergang von einem Ortszentrum und einem großen Wohngebiet aus der Nachkriegszeit. Lokale Zentren ohne diese Wohngebiete hingegen blieben verschont.

Erstaunliche Annahmen

Die Studie macht ein paar erstaunliche Annahmen, wie zum Beispiel:

Die meisten Wohnsiedlungen aus der Nachkriegszeit wurden so gestaltet, dass sie übermäßig komplexe und damit wenig genutzte Räume entstehen ließen. Diese Räume werden von unbeaufsichtigten Kindern und Teenagern bevölkert. Da sich hier keine Erwachsenen aufhalten, findet das soziale Miteinander ausschließlich innerhalb dieser Gruppe statt.

Dieses Aktivitätsmuster und die Aktivität sowie die Trennung von Nutzergruppen ist bei anderen Straßennetzwerken nicht vorhanden. Unsere Analyse von Gerichtsprotokollen zeigt, dass die Mehrheit der verurteilten Rioter, die im von der Studie untersuchten Gebiet wohnen, in großen Nachkriegswohnsiedlungen leben.

Einfach die Hardware austauschen

Diese Aussage behagt mir nicht, weil die implizierte Lösung beispielsweise wäre, dass man komplexe Bauten vereinfacht und dann mehr Menschen in diese geringfügig genutzten Gegenden bringt. Das würde dann sicherstellen, dass Kinder und Teenager besser durch Erwachsene beaufsichtigt werden und nicht durch ihre Altersgenossen allein sozialisiert werden.

Mit anderen Worten: wenn man die „Hardware“ austauscht, weist die „soziale Software“ keine Störungen mehr auf. Dabei wird vergessen, dass einige der Rioter durch schwere Missstände zu den Unruhen animiert wurden. Diese Gründe werden von der Studie allerdings nicht angesprochen.

Im nächsten Schritt soll die Analyse auch sozio-ökonomische Daten beinhalten, um das Zusammenspiel zwischen Mangel und Unruhen verstehen zu können – ich finde diese Analyse hätte zuerst kommen müssen.

Anm.d.Red.: Weitere Beiträge zu den Riots in London von Dario Azzelini, Krystian Woznicki, Dietrich Heißenbüttel und Karolina Golimowska. Übersetzung aus dem Englischen: Anne-Christin Mook.

3 Kommentare zu “Hinterhof-Aggressionen: Eine Studie beleuchtet den Einfluss von Architektur bei den London Riots

  1. Das sich etwas ändern _muss_ dürfte wohl klar sein. Allein in den aktuellen Filmen wird das Problem der englischen Ghettos behandelt. Mal ernsthaft lustig in “Harry Brown” und total amüsant in “Attack The Block” – wo der Titel ja schon Thema ist.

  2. Was spricht eigentlich dagegen, dass erziehungspflichtige und -willige Eltern ihre Brut bei deren Zeitvertreib im öffentlichen Raum im Blick haben können – wie es die Stadtplaner in den Wohnquartieren skandinavischer Städte und Gemeinden seit Jahren erfolgreich praktizieren?
    Eine “Vereinfachung komplexer Aufenthaltsstrukturen” ist ein aberwitziges,glücklicherweise überholtes Modell einer militärstrategischen Stadtplanung des 19. Jahrhunderts, auf dessen Höhepunkt in der Mitte von fünf strahlenförmig aufeinander zulaufenden Straßen eine Schnellfeuerkanone auf Drehlafette stand. Diese Art der Übersichtlichkeit gehört gottlob der Vergangenheit an und bedarf keiner Renaissance! Die Kanonen wurden nämlich durch Videokameras ersetzt.

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