Klicken und Scrollen: Wann beginnt und wann hört die Arbeit eigentlich auf?

Erledigungsblockade, Aufschiebeverhalten, Erregungsaufschiebung oder Handlungsaufschub ist ein Verhalten, das wir Prokrastination nennen. Es scheint uns von der eigentlichen Arbeit abzuhalten. Gleichzeitig scheint es uns zu helfen, dem wachsenden Druck der Leistungsgesellschaft standzuhalten. Mit der Konjunktur von sozialen Netzwerken wird all das nur noch komplizierter. Die Journalistin Fanny Steyer kommentiert.

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Soziale Netzwerke sind sehr dynamisch. Es gibt dort immer etwas Neues zu lesen. Nachrichten-Dienste liefern zum Beispiel alle fünf Minuten neue Informationen auf Twitter, ihre Tweets enthalten Links, welche man dann auch klickt usw. Bei Facebook ist es ähnlich: Jeden Tag gibt es neue Fotos, neue Kommentare, neue Einladungen.

Unser Alltag bleibt davon nicht unberührt: Wir sind ständig dabei ein Foto auf Facebook zu „liken“, etwas zu „twittern“, E-Mails zu checken, eine Facebook-Einladung anzunehmen, dann wieder auf Twitter Nachrichten zu lesen, einen neuen Kontakt auf LinkedIn hinzuzufügen und immer wieder neu E-Mails zu checken.

Das hört sich nach harter Arbeit in den Fluten des Datenmeers an. Aber auch nach Prokrastination – einem Aufschiebeverhalten, bei dem die eigentliche Arbeit liegen bleibt, während man sich mit Klicken und Scrollen ablenkt.

So oder so: Leben, Arbeit und Prokrastination im Internet macht leicht süchtig; Selbstbeherrschung fällt allen Betroffenen schwer. Hört das Klicken und Scrollen auf, wenn man erschöpft vor dem Computer zusammenbricht? Oder wenn man sich bewusst für eine andere Handlung entscheidet? Ein Paar kluge Köpfe haben sich nun eine technische Lösung überlegt.

Ist eine App die Lösung?

Es handelt sich um eine App für Macs, die Anti-Social heißt und vor zwei Jahren herausgebracht wurde. Die App kostet in der Vollversion 15 US-Dollar. Ihre Leistung: Sie sperrt soziale Netzwerke und andere Seiten im Web. Jeder kann die sündhaften Internetseiten sowie die Dauer der Sperre selbst festlegen. Allerdings darf diese nicht acht Stunden überschreiten. Um die Sperre aufzuheben, muss der Benutzer seinen Computer neu starten.

Doch ist eine solche App wirklich die Lösung? Liegt die Ursache des Problems wirklich bei bösartig konzipierten Webseiten? Oder bei jedem selber?

Ich denke, dass soziale Netzwerke lediglich die Symptome des Problems zum Ausdruck bringen, da sie zur Interaktion anregen. Weil Disziplin ein antrainiertes Verhalten ist, kann nur die Entwicklung von entsprechenden Routinen der Prokrastination ein Ende setzen. Die Twitter-Testimonials auf der Webseite von Anti-Social geben zu verstehen, dass die Sache nicht eindeutig ist. Dort gibt es nämlich zahlreiche Tweets wie „Oh my! Here comes the end of procrastination!“, wo man sich fragt ob der Verfasser dieses Tweets seinen Computer nicht neu starten musste, um seine Begeisterung zu vermitteln.

Fluchtversuch aus dem Arbeitsstress

Ein unreflektierter Umgang mit dieser App kann dazu führen, dass man trotz Anti-Social, beispielsweise wegen anderen Ersatzbeschäftigungen, nicht sehr viel erledigt und durch die App bloß sein Gewissen beruhigt und sich dadurch nur selbst belügt. Ob aus dem Fenster gucken oder sich die Nägel sauber machen: solche Beschäftigungen waren schon vor dem digitalen Zeitalter Wege zur Prokrastination.

Andererseits sollte man auch die Frage stellen, inwiefern man sich immer weiter disziplinieren muss. Ist es nicht denkbar, dass Prokrastination gerade aus dem Zwang, ständig produktiver werden zu müssen, erwächst? So könnte Prokrastination als unterbewusster Versuch betrachtet werden, eine gesündere Balance zwischen Arbeit und Freizeit zu finden, obwohl man sich bewusst zu immer mehr Arbeit zwingt. Prokrastination erscheint dann als ein Fluchtversuch aus dem permanent steigenden Arbeitsstress.

Es ist kompliziert: Mal hat man wenige Aufgaben und prokrastiniert aus mangelnder Disziplin. Mal macht man es vielleicht wegen zu viel Arbeitsstress. In jedem Fall können gesunde Routinen helfen. Sei es um die Arbeitszeit zu strukturieren, etwa mithilfe der Anti-Social App oder mit einem ähnlichen Werkzeug. Sei es um die Freizeit bewusst zu gestalten, damit man beispielsweise seinen Hobbys nachgeht, anstatt die Arbeitszeit zur Freizeit zu machen und auf Facebook zu dösen.

Anm.d.Red.: Mehr zum Thema finden Sie in unserem Dossier Digital Natives. Für Macs und PCs gibt es auch die Freedom-App, die den gesamten Internetzugang für eine bestimmte Zeit sperrt. Eine weitere Option ist das Verlassen von sozialen Netzwerken
Das Foto oben stammt von Marty Cooper (highseecruiser) und steht unter einer Creative Commons Lizenz.

6 Kommentare zu “Klicken und Scrollen: Wann beginnt und wann hört die Arbeit eigentlich auf?

  1. und wie sieht es mit kostenfreien Werkzeugen aus? ich meine, die app, die hier vorgestellt wird kostet Geld. Es muss doch auch Apps oder andere Tools geben, die nicht kommerziell sind. Das kann dann doch auch eine nicht nur auf meine Geldbörse Folgen haben, sondern auch politisch und sozial andere Dinge bedeuten. Wenn Leute sowas programmieren in Reaktion auf einen kommerziellen Sektor des Internets nud wenn sie dafür kein Geld wollen, dann wollen sie vielleicht etwas verändern in der Welt und gehen mit ihrem Angeobt insgesamt vielleicht ganz anders an die Geschichte heran – das würde mich wirklich sehr interessieren.

  2. @r2d2: na ja, es geht einfach auhc darum, dass ich wissen will, ob ich auch was bekommen kann, das kein geld kostet und das dennoch wirklich gut ist als produkt – wie ubuntu zum beispiel

  3. Bei der Recherche bin ich leider auf kein kostenloses Werkzeug gestossen… Wie die Umsetzung bei einem solchen aussehen würde, interessiert mich ebenfalls. Wenn jemand etwas findet, bitte Bescheid geben.

  4. kostenfreie varianten:

    für iphone/applekram: kindersicherung (unter einstellungen -> einschränkungen). lasst einfach jemand anderen das passwort eingeben (vertrauenswürdige personen braucht man natürlich schon).

    für pc: admin-account mit kompliziertem langem passwort, das man sich beim besten willen nicht merken kann -> jugendschutz für den Benutzer account einrichten.
    -> passwort hiner den schrank schmeißen, oder jemandem geben

    für ubuntu hab ich noch kA

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