Ein Albtraum von Universität

Nach 12 oder 13 Jahren Schule hat man endlich das Abitur in der Tasche und die Welt steht einem offen. Zu offen? Zu viele Möglichkeiten? Weil man es nunmal so macht, entscheiden sich viele Abiturienten für ein Studium. Doch ist das tatsächlich die richtige Entscheidung? Und ist es überhaupt möglich bei so vielen Studiengängen und NC-Beschränkungen das “Richtige” zu studieren? Berliner Gazette-Herausgeber Krystian Woznicki über einen Traum und den Willen ihn mitzuträumen.

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Mit der Schule fertig, beginnt eine schwierige Phase: Weiß ich überhaupt, was ich werden will? Wie die meisten weiß ich es nicht. Noch nicht. Im Grunde muss ich mich auch gar nicht entscheiden. Noch nicht. Zunächst steht das Studium bevor. Was aber soll ich studieren? Um konstruktiv darüber nachdenken zu können, muss ich Studium und Beruf unabhängig voneinander betrachten.

Ich muss mit Blick auf das Jetzt meine Entscheidungen fällen, nur so kann ich meine Interessen überhaupt erkunden; nur so kann sich Zukunft überhaupt öffnen. Das Problem, das sich heutzutage stellt, und Marek Dutschke hat letzte Woche darauf einmal mehr verwiesen, ist: Immer mehr Menschen studieren etwas, dass sie eigentlich gar nicht interessiert. Nicht allein deshalb, weil sie gar nicht wissen, worin ihre eigentlichen Interessen bestehen. Sondern vor allem deshalb, weil sie keine Wahl haben.

Traum-Uni: Kein NC und studium generale

Vor zwei Jahren träumte Marek Dutschke in der ZEIT seinen Traum von Universität. Das Motto seines Traums: Genug Zeit zum Erwachsenwerden. Seine Forderung: Abschaffung des “Numerus clausus”; Einführung eines studium generale: “damit die Studenten in kurzer Zeit eine große Auswahl von Fächern kennenlernen”, um daraufhin im BA-Schnelldurchlauf ihr Fachstudium zu absolvieren.

In der Tat, ein Traum. Speziell die Abschaffung des Numerus clausus. Schließlich ist dies die hauptsächliche Ursache, warum heute jene, die kein Einser-Abitur haben, keinen Zugang zu ihren Wunschfächern an der Uni haben. Während der Numerus clausus graduell angehoben wird, verschärft sich die soziale Selektion.

Gefangen im Albtraum?

Letzte Woche hat Dutschke in CARTA seinen Traum von der Universität neu aufgelegt und etwas deutlicher konturiert, indem er den vorherrschenden Albtraum vor Augen geführt hat: “Es sieht im Moment fast so aus, als seien die einzigen Studienfächer, die man mit einem Zweier-Abi noch studieren kann, Judaistik, Slawistik und noch einige wenige Exotenfächer.”

“Abiturienten mit einem mäßigen Durchschnitt haben also kaum mehr eine Wahl. Für sie bleiben nur noch wenige Fächer übrig – egal ob sie an diesen Fächern Interesse haben – oder der Weg nach Österreich. Dieser Exodus hat allerdings den kuriosen Nebeneffekt, dass in Österreich mittlerweile die erste richtige linke Protestkultur unter Studenten entstanden ist. – Und so zwängen sich eine Vielzahl von wenig motivierten Studierenden in die überfüllten Hörsäle der Exotenfächer.”

Nicht träumen, sondern handeln

Auch ich träume gerne. Für mich. Mit anderen seltener. Doch ich bin durchaus bereit mit anderen zu träumen, mit Leuten wie Marek Dutschke, die ihre Träume in der Öffentlichkeit kundtun. Mit Albträumen ist es da nicht anders. In diesem Fall gehe ich jedoch lieber bei dem Albtraum mit. Die volle Strecke.

Denn was sich hier im Albtraum auftut, ist mehr als der Abgrund der Gesellschaft. Was Dutschke als “kuriosen Nebeneffekt” bezeichnet, ist in Wirklichkeit eine Öffnung. Die “erste richtige linke Protestkultur unter Studenten”, die in Österreich entstanden ist und inzwischen internationale Ausmaße angenommen hat, sollte weltweit zum Vorbild werden. So kommen wir weiter als mit einem bloßen Traum, der uns womöglich schwelgen und zu Handeln vergessen lässt.

10 Kommentare zu “Ein Albtraum von Universität

  1. Einwand: Was ändert sich denn, wenn der NC (bzw. ZVS) abgeschafft wird und alle endlich das studieren dürfen, was sie wollen? dann haben wir 98 prozent jura und bwl studenten. wollen wir das? Die Meinung, dass wir nicht träumen, sondern handeln sollten, vertrete ich übrigens auch!

  2. Von dieser erneuten Protestwelle ist an unserer Uni nicht viel übrig geblieben, nur ein paar Punks, die es irgendwie nett fanden alle anderen zu irritieren indem Sie im Audimax auf versifften Sofas abhängen, Gemüse schneiden, im Netz surfen. Nicht mal die Putzfrau traut sich dort aufs Klo. Schade.

  3. Träumen ist wichtig, aber man muss wissen, wann man damit aufhören muss. Irgendwann heißt es: wake up!

  4. Die Forderung den NC abzuschaffen, finde ich nicht besonders radikal (was würde danach schon passieren: aufnahmetest, die unis entscheiden selbst, wen sie zulassen…). Zudem stellt diese Forderung den jetzigen Zustand gar nicht in Frage. Woran liegt es denn eigentlich, dass niemand ein “Exotenfach” studiert? Hat man als Islamwissenschaftler oder Altphilologe denn so schlechte Berufschancen oder liegt es eher daran, dass man über die Ausbildungschancen einfach zu wenig weiß. Mein Traum wäre, dass man sich in der Schule über das Verfassen von Bewerbungsbriefen und Berufswahltagen hinaus etwas über Bildung(smöglichkeiten) lernt. Vielleicht als Schulfach: Bildungskompetenz…

  5. Träumer können gefährlich werden; häufig sind es nämlich jene, die Zeit und Geld haben, dazu haben und sich um wirkliche Veränderungen nicht ernsthaft scheren.

  6. Pingback: Blasse Überväter

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