Agora Virtuale: Rohrpost vom 19. ins 21. Jahrhundert

Die Berliner Rohrpost (1865–1976) gehörte zu den ungewöhnlichsten und faszinierenden Netzwerken des Untergrundes in der deutschen Hauptstadt. Kuerzlich haben ein paar Berliner Medienaktivisten die Idee im Format der Mailingliste in das neue Jahrhunderts hinuebergerettet. Medienwissenschaftler Tilman Baumgaertel, Mit-Initiator des Projekts, berichtet.

Zwanzig Leute, von denen ich die meisten noch nie gesehen habe, trafen sich an einem regnerischen Nachmittag Anfang Februar in Berlin auf der Oranienburger Strasse vor dem ehemaligen Reichspostamt. Sie alle waren gekommen, um an einer Fuehrung durch die unterirdische Rohrpost-Zentrale teilzunehmen. >>Das ist also unsere Zielgruppe<<, ging es mir durch den Kopf, waehrend ich mit diesen wildfremden Leuten die Treppe zu der unterirdische Rohrpost-Anlage hinabstieg. Es war nicht das erste Treffen mit Menschen, die zu den AbonnentInnen der Mailingliste Rohrpost (wahlweise auch: rohrpost, [rohrpost]) gehoerten, die Andreas Broeckmann und ich seit gut einem Jahr moderieren. Zwei Tage vorher hatte es im Berliner Postmuseum einen ersten Empfang fuer die Mitglieder der Liste gegeben, der zum Rahmenprogramm des Medienfestivals Transmediale gehoerte. Aber die Leute, die zu der Fuehrung, die nur ueber die Rohrpost-Mailingliste angekuendigt worden war, gekommen waren, unterschiedenen sich von den Gaesten des Empfangs zwei Tage zuvor. Waehrend mir dort viele der Gaeste bekannt waren oder wenigstens so vorkamen, gehoerten die meisten Leute bei der Fuehrung nicht zur Medienkunst- oder sonst einer Szene. Keine unsympathischen Menschen, natuerlich, aber eben auch nicht >the usual suspects<. Freilich, um die war es uns auch gar nicht gegangen, als Ende 1999 bei einem Treffen der Berliner Medieninitiative mikro die Idee diskutiert wurde, eine deutschsprachige Mailingliste einzurichten. Wir fanden bloss, dass es an einem Forum fuer Medien- und Netzkunst und- kultur fehlte. Was diese Liste genau leisten und wen sie erreichen sollten, wollten wir offen lassen, und die Selbstdefinition der Entwicklung der Liste ueberlassen. >>rohrpost ist eine offene, nicht-moderierte, deutschsprachige Mailingliste fuer Medien- und Netzkultur: deutschsprachige Texte, Projektbeschreibungen, Ankuendigungen, Diskussionsbeitraege, Kooperationsangebote, usw.<<, heisst es auf der Website von rohrpost bewusst offen. >>rohrpost steht fuer einen kritischen medientheoretischen Diskurs und schafft Transparenz und Sichtbarkeit fuer Initiativen und Projekte, die es im deutschsprachigen Raum im Bereich von Medien- und Netzkultur gibt.<< Zu beurteilen, ob es gelungen ist, diesen Anspruch einzuloesen, sei anderen ueberlassen. Eine Mailingliste ist nur so >gut< wie ihre Teilnehmer. Als Moderator kann ich sagen, dass ich den Input von Rohrpost nicht mehr missen moechte, und die Liste als eine Art virtuelle Schicksalsgemeinschaft empfinde. Auch wenn die Mehrzahl der Postings auf Rohrpost Ankuendigungen von Projekten, Websites, Ausstellungen und Symposien sind, hat es hier auch schon heftige und manchmal erleuchtende Diskussionen gegeben. Rohrpost war der Anfang vieler schoener Feindschaften, aber auch Ausgangspunkt fuer Begegnungen und Projekte, Ideen und Kooperationen. Dafuer ist neben den Subskribenten von Rohrpost [Wir lieben Euch alle!] vor allem den guten Menschen von Openoffice zu danken, die uns den Server zur Verfuegung gestellt haben, ueber den die gesamte Rohrpost-Kommunikation laeuft.

Uebrigens: da Andreas Broeckmann als Rohrpost-Moderator in den Ruhestand gehen moechte, brauchen wir jemanden, der sich mit mir um die technische und inhaltliche Betreuung der Liste kuemmern moechte. Freiwillige melden sich bitte bei mir.

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