Ein Blog, das kein Blog sein wollte

Die Berliner Gazette betreibt seit vier Jahren ein Logbuch. Es ist im deutschen Sprachraum das erste redaktionell betreute Blog, das allerdings niemals ein Blog sein wollte und auch heute kein Blog sein will. Krystian Woznicki erklärt warum.

Mal von vorne: Die Berliner Gazette, das ist wohl bekannt, begann als >Newsletter<, der kein Newsletter sein wollte, sondern ein Mini-Feuilleton im elektronischen Briefformat. Oder - etwas weniger blumig ausgedrueckt -: eine woechentliche Kulturzeitung in der Gestalt einer Email. Sommer 1999 gings los, das Format des elektronischen Briefes, das bis heute quasi unveraendert geblieben ist, hatte neben einer Kolumne von eingeladenen Gastautoren, neben dazugehoerigen Links und drei ausgewaehlten Veranstaltungshinweisen fuer die deutsche Hauptstadt, ebenso Platz fuer ein ueberregionale Online-Themen ins Auge fassendes PS. Dieses Postskriptum entwickelte bald einen eigenen Stil, eine eigene Sprache. Erfreute sich, wie auch die anderen Bestandteile des Newsletters, einer eigenen Leserschaft. Es gab bald Leute, die primaer das PS lasen. Angelegt als Text-Miniatur, die vor allem Abonennten ausserhalb Berlins ansprechen sollte und jene, die das Internet als Nachrichtenmaschine schaetzen, reichten und reichen die Themen von Nachrufen ueber Kurzbesprechungen bis hin zu Aufrufen und Polemiken. 2002, der Crash der New Economy war perfekt, bekam das PS einen neuen Platz zugewiesen: Vorher >nur< die Nachschrift des elektronischen Briefes, jetzt, da die erste amtliche Website der Berliner Gazette stand, das Kurzmeldungsformat des digitalen Mini-Feuilletons. Das Logbuch. Unterzeile: >Taegliche Randnotizen von Streifzeuegen durch den Medienpark.< Man hoert heute allenthalben, dass die Geburtsstunde der Blogs in eben jenen Tagen schlug. Das und auch der spaetere Hype ist an den Machern des Berliner Gazette-Logbuchs vorbeigangen. Und das ist auch gut so. Nichts gegen Blogs an sich. Aber wer ein zeitgemaesses Format entwickeln will, vielleicht auch eines, das seiner Zeit voraus ist, der muss nicht die Nachbarschaft unter Beobachtung stellen. Jetzt, da die Sache gereift ist, und das BG-Logbuch noch immer kein Blog sein will, aber mehr denn je so aussieht, ist es interessant, sich umzuschauen. Und anzuschauen, was es fuer Formate gibt, die die Grundlage fuer Verwechselungen schaffen. Blogs. Sie haben es erraten: Bleiben Sie dran!

7 Kommentare zu “Ein Blog, das kein Blog sein wollte

  1. “Ein Blog, der kein Blog sein will” – Naja ich weiss nicht so recht. Ich denke, dass die Begriffe in der Webliteraturtheorie eh noch nicht so festgeschrieben sind. Alles ist noch in Bewegung. Blogs im klassischen Sinne, sind meines Erachtens tagebuchartige Beobachtungen einer einzelen Person, assoziative Schnellschuesse. Hier unterscheidet sich das Logbuch der Berliner Gazette doch erheblich von anderen Blogs. Auch assoziativ, aber nicht schnell geschossen. Doch was ist das Logbuch dann, wenn kein Blog? Ein Tagebuch des Internets, denn immerhin ist ja Log noch immer ein Bestandteil des Wortes? Dafuer gibt es innerhalb des Berliner Gazette Logbuchs aber zuviele andere Themen die abgehandelt werden: Bücher, Ideen, Veranstaltungen… es gibt Kurzgeschichten… einfach alles Moegliche. Inwiefern grenzt sich das Logbuch da von der Kultursektion anderer Online-Medien ab? Es ist vermutlich die Offenheit für Formen. Die Bereitschaft dazu, das Internet nicht nur als ein Ding im Computer zu sehen, sondern als Wesentliche Bezugsquelle des Daseins des modernen Menschen. In diesem Sinne: Die Zukunft ist noch ungeschrieben.

  2. Ich sehe die Definition von Blogs ebenfalls als nicht trennscharf und noch nicht abgeschlossen an, da fuer viele Zwecke (mir selber geht es mit meiner website genauso) Blogsoftware verwendet wird, ohne dass man ein Blog im urspruenglichen Sinne eines Internet-Tagebuchs fuehrt. Das Logbuch der Berliner Gazette gehoerte sicher in einer Zeit, als es noch keine fuer die Massen der Internetnutzer ausreichend einfache zu bedienenden Web-Publishing-Angebote gab, zu denjenigen, die auf einer technisch anderen Plattform die Inhalte, die sich heute in vielen so genannten Blogs finden, bereit gestellt hat. Insofern einer der vielen Vaeter und Muetter der heutigen Blogs, die heute alle in einen gemeinsamen Topf geworfen werden und eigentlich gar nicht Teil der allgemeinen Blog-Suppe sein wollen.

  3. Das Logbuch hat sich im Laufe der Zeit doch sehr gewandelt. Mit dem Makeover der kompletten Seite hat es einen neuen Anstrich bekommen und erfüllt meiner Meinung nach alle Gegebenheiten um als Weblog durchzugehen. Nach der freien Enzyklopädie lässt sich hier sogar noch weiter differenzieren. Der Tumbleblog trifft in gewisser Weise den Kern des Logbuchs. Eine unstrukturierte Ansammlung von Meinungen, Geschichten und Links. Ein Archiv von Randnotizen und Alltagsgeschichten das ist das Logbuch. Es ist also ein Blog der irgendwie keiner sein wollte, keiner sein will aber doch einer ist.

  4. Blogkultur oder Kolumnenkultur. Irgendwer schreibt ueber seine Eindruecke aus irgendwelchen Ecken dieser Welt. Hinter dieser Art der Kommunikation scheint das Konzept Wahrnehmung und die Frage danach zu stehen, was denn jetzt tatsaechlich “wahr” ist. Oder wie ein Umstand denn jetzt zu bewerten ist. Eingangs genannte Kulturen sind unheimlich bereichernd und inspirierend, aber man sollte sie eben nicht ueberbewerten. Ebenso, wie man sie nicht unterschaetzen sollte. Und solche Texte kann man kaum in einen Topf knallen. Das einzige was sie schliesslich unendlich viele.

  5. Ob das Logbuch ein Blog ist oder nur so aussieht und eigentlich gar keiner sein will – ich glaube, das begriffliche Verstaendnis ist hier gar nicht so wichtig. Interessant ist, dass das Logbuch der Gazette die logische Konsequenz des PS aus dem Newsletter war. Nicht, weil man einen >Blog< wollte, sondern weil es handwerklich gesehen die naheliegendste Methode war, den Kurzmeldungen einen eigenen Auftritt zu verleihen. Also ein rein pragmatischer Aspekt. Was die Theorie dann im Nachhinein daraus macht, wie sie es nennt und konservieren will - darum sollte sich der >Kunestler< dann nicht mehr kuemmern.

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