36h G8

Kurzurlaub in eine andere Welt. Wir sind fuenf in einem Auto und wir wollen nach Heiligendamm. Zwischenstop in Rostock. Wir erwarten Ueberfuellung und finden Gemuetlichkeit und Kunst. Videos proklamieren bessere Welten, nur einen kleinen Schritt entfernt von unserer rauen Wirklichkeit. Haeufchen aus Reis versinnbildlichen die in und um Heiligendamm involvierten Menschenmengen. Nur auf die 6000000000 Menschen, die es ausser Polizei und Demonstranz noch angeht, wurde verzichtet. Vielleicht wollte man die zwanzig Kubikmeter Reis nicht auf den Boden schuetten, die das -kurz ueberschlagen- gebraucht haette. Weiter ins Zeltlager der G8-Blockierer. Die Leute sind jung und links. Sehr jung und sehr links. Zu jung und zu links?

Wir sind hier zig Tausende. Wo sind die Millionen, die alle vieles irgendwie nicht gut finden? Die Lehrer, die Feuilletonisten, die Arbeitslosen? Keinen Urlaub gekriegt? Die Organisation des Lagers ist atemberaubend, es gibt alles, Essen, Klopapier und Information und sie stimmt. Die Stimmung ist aufgekratzt und ernst zugleich, wie bei einem gigantischen Raeuber- und Gendarmspiel. Das einende Feindbild haelt sich durch das ununterbrochene zermuerbende Geknatter der ueber uns kreisenden Hubschrauberschwaerme fortwaehrend in Erinnerung. Schlaglicht aus dem Polizeikessel. Ein paar Dutzend Clowns auf einer Blumenwiese, umringt von einer schwarz martialischen Hundertschaft aus Bayreuth.

Diese Hundertschaft kann selbst nur mit Muehe an den sicherheitssichernden Sinn ihrer Massnahme glauben und ist froh, nicht glauben zu muessen. Die absurde Situation beaeugt von Dorfbewohnern, die hier im Eilverfahren zu Globalisierungs- kritikern bekehrt werden. Auf der Autobahn nach Berlin ueberholen sie wieder, die linksblinkenden Silberpfeile, ziellos unterwegs auf einem Egotrip ohne Ende. Wir sind zurueck in einer Welt, in der es nicht selbstverstaendlich ist, dass man mit allen alles teilt, was sich nur teilen laesst. In einer Welt, in der es nicht selbstverstaendlich ist, dass Widerstand notwendig ist. In einer Welt, die viel zu oft laengst nicht so gut organisiert scheint wie ein Zeltlager voller jugendlicher Protestleranten.

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