Warum 2012 das Jahr des Fernsehens wird

Das Internet vereinigt alle Medien in sich: Das Radio, die Zeitung, die Spielkonsole – aber geht auch das Fernsehen im Internet auf? Die Kulturtheoretikerin und Berliner Gazette-Autorin Mercedes Bunz wagt einen Ausblick zwischen Mattscheibe und Tablet-Computer.

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Es begann mit einer Selbsttäuschung: Im Sommer 2006 kam ich von einem längeren Aufenthalt in Berkeley zurück. Und zwar ungern. Ich wollte Kalifornien mit seinem extrem milden Wetter nicht verlassen und redete mir ein, dass ich erst wirklich wieder in Deutschland angekommen wäre, wenn ich meinen Fernseher anschalten würde.

Also blieb der altmodische schwarze Kasten in meinem Wohnzimmer aus. Ich hörte auf, Fernsehen zu gucken. Dachte ich. Vor kurzem habe ich über die Zukunft des Fernsehens für ein Event der Vereinigung für Privatfernsehen VPRT recherchiert, und habe gelernt, dass das nicht zutraf. Ich habe aufgehört, meinen Fernseher zu benutzen, aber ich habe trotzdem weiter Fernsehen geguckt.

Was das Fernsehen von anderen Medien lernen kann

Denn das mit dem Fernsehen wurde durch die Digitalisierung, die überall hin Monitore verteilt hat, kompliziert. Prinzipiell wachen die Fernsehmacher zwar selbst erst langsam aus dem Dornröschenschlaf auf: Laut Analyst Spencer Wang von Credit Suisse kaufen sich Konsumenten alle sieben Jahre ein neues Fernsehgerät, ihr Smartphone hingegen ersetzen sie alle zwei Jahre durch ein neues Modell.

Doch jetzt ist es soweit: 2012 wird das Jahr sein, in dem das Fernsehen die Digitalisierung begrüßen wird. Zunehmend mehr Kanäle und TV-Sender haben bereits begonnen, diese Entwicklung voran zu treiben. Das ist neu, bisher dachten die meisten, das Internet sei nur zur Vermarktung des eigenen TV-Inhalts da. Jetzt betreten sie eine neue Welt, in der das Internet auch zur Verbreitung der eigenen Sendungen genutzt wird.

Lange hat man diesen Schritt herausgezögert, und das hat sich in der Vergangenheit nicht als gut erwiesen. Denn dass die alten Medien von der Digitalisierung angeknabbert wurden, ist zumindest teilweise ihre eigene Schuld: sie haben sich nicht in dem neuen Medium breit gemacht, diesen Platz anderen gegeben, und zu lange gewartet. Das Fernsehen war hier in einer glücklichen Position. Weil sein Zyklus mit sieben Jahren etwas langsamer ist, konnte man von den Fehlern der anderen lernen, vor allem denen der Musikindustrie.

Wir erinnern uns: Aus Angst vor illegalen Kopien verweigerten die sich dem digitalen Vertrieb und suchten ihr Glück hinter der Festung von DRM-geschützten CDs. Das Vorantreiben des neuen Mediums überließen sie anstatt dessen Apple und Steve Jobs. Die erledigten ihren Job hervorragend, mit dem Ergebnis, dass sie einen Teil ihrer Macht abgeben mussten. Dabei gibt es gegen illegales Kopieren einen todsicheren Trick: Wenn man seine Inhalte weithin verfügbar macht, mit einem realistischen Preis versieht und vor allem das Bezahlen denkbar einfach macht, sinkt die Piratierie ungemein.

Der Angriff des mobilen Fernsehens

Das Konzept möglichst viele Ebenen von der Prodution bis hin zum Verkauf von Inhalten unter einem Dach zu vereinen, nennt man übrigens vertikale Integration. Was iTunes zum Erfolg verholfen hat, könnte für die TV-Branche wegweisend sein. Doch während dieses Konzept in den Köpfen der Manager spukt, liegen die Probleme des Fernsehens längst jenseits klassischer Vertriebsfragen.

Im Internet ist es wichtig Inhalte zu finden und die Lösung dafür hat wenig mit den konventionellen Sender-Empfänger-Netzwerken des Fernsehens zu tun. Wer aber wird die entsprechenden Orientierungshilfen in diesem Datendschungel entwickeln? Wer wird das Google des Fernsehens werden? Neben clicker.com gibt es eine Reihe von anderen Firmen, die versuchen auf diese Fragen Antworten zu geben, darunter auch Tweek.tv aus Berlin. Im Zeitalter des Informationsüberflusses wird das digitale Programmheft zum Kanal für den User.

Prinzipiell kann man wohl sagen, dass der zukünftige Fernsehüberblick im Netz halb als Portal, halb als Suchmaschine konzipiert sein wird, die auch Empfehlungen von sozialen Medien integriert. Denn die perfekte Ausgangsposition hat jenes Angebot, welches einen Überblick über alle Sender und Marken sowie Freunde und Follower gibt – der US-amerikanische Sender CBS hat hier eine weise Entscheidung getroffen, als er in diesem Frühjahr clicker.com gekauft hat.

Die meisten Portale dagegen überfrachten ihre Homepage mit Inhalten anstatt den Usern eine klare Orientierung zu geben. Sie zeigen so, dass sie das neue Medium noch nicht wirklich verstehen – das Zappen war schon in der realen Welt nervig, und da es im Internet überall mehr gibt, ist eben weniger mehr.

Fernsehen “to go”

Zu guter Letzt gibt es noch Fernsehen „to go“: iPad und das Kindle Fire Tablet haben sich zum Walkman des Fernsehens entwickelt und Apple bzw. Amazon beliefern ihre Tablet PCs auch mit Inhalten. Außerdem gibt es noch „go to“-Fernsehen. Google hat den GoogleTV Browser entwickelt, der bald seinen Platz auf Geräten von Sony, LG und Samsung finden wird. YouTube hat 100 Millionen Dollar in die Produktion von Kanälen in Zusammenarbeit mit Disney investiert. Auch Apple will Computerinhalte auf das Fernsehen bringen, und wählt dafür wie gewohnt die kreative Perspektive. Ihre Patente zeigen ein Fernsehen, das man mit Gesten oder per Sprachanweisung steuert. So will man beispielsweise das Editieren von selbstgedrehten Videos vereinfachen, die man dann auf dem großen Fernsehmonitor stolz vorzeigen kann.

Kurz, wenn YouTube sich selbst als „die Antwort des Internets auf das Kabelfernsehen“ neu definiert (so hat mein Kollege Janko Röttgers es bezeichnet), wenn digitale Firmen beginnen für Tablets zu produzieren, wenn Fernsehgeräte mit einem Browser ausgestattet werden, um Internetinhalte laden zu können, dann ist die vertikale Integration des Fernsehens aus den Köpfen der Manager in die wirkliche Welt durchgebrochen.

Jürgen Doetz, der Präsident von VPRT, betonte nicht nur einfach so aus Lust und Laune, dass eine offene Diskussion unter allen Fernseh-Beteiligten unbedingt notwendig sei. Er weiß um die Gegebenheiten. 2012 wird ein entscheidendes Jahr für das Fernsehen werden.

9 Kommentare zu “Warum 2012 das Jahr des Fernsehens wird

  1. Ich hab seit drei Jahren keinen Fernseher mehr, und fast alle in meiner Umgebung haben ihren auch abgeschafft. Ich wüßte also nicht, warum 2012 das Jahr des Fernsehers werden sollte… ich tippe eher auf das Jahr des E-books.

  2. @Florian Voß: Der Artikel arbeitet sehr schön heraus, dass das TV bis jetzt im Dornröschenschlaf war und nun ins Netz kommt – gerade weil du keinen Fernseher mehr hast, könnte 2012 das Jahr des Fernsehens werden, denn immerhin könnte es dich potenziell via Internet ja wieder erreichen, oder?

  3. @Florian Voß: ich mag auch das TV nicht, aber wir müssen zugeben: Es gibt auch hier Innovationen im Bereich der Inhalte. zB: TV-Serien, sehr aufwendig und sehr hochwertig produziert.

    Mercedes Bunz spricht in ihrem Text allerdings über eine ganz andere Content-Innovation: Apple & Co entwickeln neue Inhalte für TV. Hier stehen Experimente an der Tagesordnung und wir dürfen gespannt sein, was dabei herauskommt.

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