100 Jahre Svejk: Dokument der Obrigkeitsverneinung

Kaum ein Stück Literatur hat den Beginn des Ersten Weltkriegs und die militaristische Gesellschaft Österreich-Ungarns besser auf die Schippe genommen als Jaroslav Haseks „Die Abenteuer des braven Soldaten Svejk“. Doch lohnt es sich zum runden Jubiläum den Schinken aus Opas Bücherschrank zu kramen? Berliner Gazette-Autor Patrick von Krienke hat sich die Mühe erspart und zum Hörbuch gegriffen.

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Etwa auf den Tag genau vor 100 Jahren soll ein gewisser betrügerischer Hundezüchter namens Josef Svejk in der Kneipe „U Kalicha“ (Zum Kelch) nahe des Prager Karlsplatz gesessen haben. Nach einem Glas Schwarzbier prophezeit er in kruden Worten, dass es bald Krieg geben werde. So berichtet uns zumindest Hasek in seinem Roman. Dass er wegen einiger unbedachter Worte kurz darauf vom Geheimpolizisten Brettschneider verhaftet wird, galt in den letzten Wochen ganzen Horden von Kolumnisten als willkommene Parallele zum Überwachungswahn NSA und Co., die ja auch überall Terroristen anhand von Facebook Posts jagen möchten. Damit allein schien bereits der Beweis für die unumstößliche und fortwährende Aktualität des Svejk erbracht.

Doch was passiert eigentlich in diesem angeblichen Stück Weltliteratur? Nicht sonderlich viel, wenn wir ehrlich sind. Der leicht trottelige Svejk ist gleichzeitig so nationalistisch, überkorrekt und treu-doof, dass er von einer Zelle zur anderen wandert, bis er schließlich an der Front ankommt. Dabei fügt er sich in sein Schicksal und ist bis zur Sprödigkeit korrekt, egal ob er vor den Irrenarzt gebracht wird, oder dem Haftrichter Rede und Antwort steht. „Melde gehorsamst ein Blödian zu sein“, lässt zwar schmunzeln; zur Charakterbildung kann es kaum beitragen. So ist der Svejk auch kein Bildungsroman. Denn das einzige, was sich gelegentlich am Svejk verändert, ist sein Hang zum Rheumatismus.

Schnarrender Befehlsjargon und blonde BWL-Mädchen

Die echten Kenner schätzen aber den Roman nicht wegen seiner fehlenden Tiefe. Vielmehr sei es die Identifikationsfigur des „kleinen Mannes Svejk“ und der enorme Witz der in das Absurde geführten Befehle der Obrigkeit, die ins Feld geführt würden. Leider ist das alles andere als aktuell. Sprüche wie „Maul halten – weiter dienen!“ oder „Mit Ausreden ist wie mit Arschlöchern, Herr Oberleutnant, jeder hat eines“ versetzten vielleicht noch im Mai 1986 den Saal bei der Aufzeichnung des neuerdings auch auf einem großen Hörbuchportal verfügbaren Svejk in der Lesung von Helmut Qualtinger in schreiendes Gelächter.

Aber ist das heute wirklich noch witzig? Wen interessieren Parodien auf schnarrenden Befehlsjargon? Was wollen wir mit einem Militärroman im Jahre 2014? In einer Zeit und Welt, in der selbst auf den schlimmsten Burschenschaftsfeiern die Wehrdienst- und Reserveoffiziersgeschichten erst spät am Abend ausgepackt werden, um die blonden BWL-Mädchen nicht zu verschrecken, ist es höchstens noch grotesk. So fremd ist uns dieser Kasernenhofton, dem sich noch die Unteroffiziere unserer Väter in der NVA befleißigten, dass nichts altbackender und inaktueller sein könnte als „Die Abenteuer des braven Soldaten Svejk“.

Die 200-minütige Lesung aus dem Jahre 1986 wurde bereits 2003 als CD-Box vorgelegt und für die jetzt verfügbare Hörbuch-Datei noch einmal remastert, wobei einige Eigentümlichkeiten der Plattenaufzeichnung erfrischenderweise erhalten geblieben sind. Es zeigt sich ein Helmut Qualtinger in Bestform kurz vor seinem viel zu frühen Tod im selben Jahr.

Denn auf der anderen Seite ist es auch einfach schön dieses durchaus zeitlose Dokument der Obrigkeitsverneinung im besten Schmäh vorgelesen zu bekommen und sich über alle möglichen und unmöglichen Absurditäten dieser Zeit zu amüsieren. So ist der Svejk heute nun wahrlich nicht mehr aktuell. Aber er ein hörenswertes Dokument seiner Zeit mit einem Humor, der auf die groben und die feinen Gemüter gleichermaßen wirkt, ist er allemal.

Anm.d.Red.: Das Bild oben stammt aus der The Library of Congress und ist über den Commons-Pool von flickr verfügbar.

6 Kommentare zu “100 Jahre Svejk: Dokument der Obrigkeitsverneinung

  1. “galt in den letzten Wochen ganzen Horden von Kolumnisten als willkommene Parallele zum Überwachungswahn NSA und Co.”

    Beziehen Sie sich hierbei auf ein bestimmtes Ereignis, Artikel o.Ä.?

  2. Liebe Michelle,

    mehrere große Zeitungen, Hrfunkanstalten und Magazine beschäftigen sich in den vergangenen Wochen ausgiebig mit den kulturellen und histografischen Implikationen des 100. Weltkriegsausburchs.

    Mit dem Svejk insbesondere haben sich der Deutschlandfunk und SWR 3 jeweils in einem Feature auseinadergesetzt. Die FAZ und die FAS haben den Orten des 1. Weltkrieges sogar makabererweise eine Reisebeilage gewidtmet, bei der Svejk eine promminente Rolle spielt.
    http://www.faz.net/aktuell/reise/auf-den-spuren-des-braven-soldat-vejk-durch-prag-13059457.html

    Das Neue Deutschland genauso wie das Magazin Hintergründe, der Spiegel, die NZZ und die Zeitschrfit Militärgeschichte setzten sich nohcmals mit dem Stoff auseinadner.
    http://www.prag-aktuell.cz/presseschau/14-7-2014/der-gute-soldat-svejk
    http://munich.czechcentres.cz/programm/detail/jaroslav-hasek-514/

    Das Halbjahresmagazin Flandziu hatte eine größere Betrachtung über Hasek genauso in den Seiten wie zahlreiche tschechische Printprodukte, deren Aufzählung hier den Rahmen sprengen würden.

    Insgesamt sehr viel Kolumnistenrummel um einen Text, der vor 100 Jahren spielt, vor 93 Jahren in wöchentlichen Schnipseln veröffentlicht wurde und im Endeffekt unvollendet blieb.

    Viele Grüße

    PvK

  3. Vielleicht noch als kleine Anekdote…

    Ich hatte den Svejk das erste Mal an der Offizierschule des Heeres in Dresden als junger Offizieranwärter in der Hand. Damals sagte unser Militärgeschichtslehrer, ein bärtiger und bäuchiger Major, der gerade über die Bayerische Heeresbierversorgung im 1. Weltkrieg promovierte: “Lesen Sie dieses Buch! Da steht alles drin, was sie nie über das Soldatenleben wissen wollten. Und verraten Sie niemandem, dass ich Ihnen das gesteckt habe!”

    Bei der Gelegenheit empfehle ich die alte Übersetzung zu nutzen. Als der Svejk beispielsweise von der Ermordung Franz Ferdinants erfährt ruft er in der alten “Joa – das is aber gelungen!” aus, anstelle des politisch korrekten “Das ist aber ein Ding”, in der neuen Version.

    PvK

  4. Political Correctness ist nicht immer lesenswert. Die alte Übersetzung habe ich zuhause, danke für den Tipp!

  5. das Soldatische konnte uns nach dem 1. und 2. Weltkrieg nicht ausgetrieben werden. Es steckt uns noch immer in den Knochen. Der gesamten Gesellschaft. Wir marschieren noch immer stramm und stehen still, wenn der Feldherr es wünscht — selbst wenn es sich dabei um eine Frau handelt. Die Popularität des Svejk zeugt davon auch, oder? Wir lieben die Romantik des Soldaten. Zwischendurch darf er auch ein wenig Ungehorsam an den Tag legen.

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